Wer klaren Blicks die
Schicksalshieroglyphen
Auf gar so manchem
Frauenantlitz liest,
Der sieht nicht ohne Grauen in
die Tiefen
Des Dunkels, das sich keinem
Blick erschließt.
Hier Keime, die nach Luft und
Pflege riefen,
Versumpft, dem wasser ähnlich,
das nicht fließt;
Dort böse Triebe, die
verborgnen schiefen,
Geweckt und wuchernd, gleich
wie Unkraut sprießt.
Ihr sprecht: Sie sind
verblüht! – O daß sies wären!
Daß welk die Wange nur! wie
würde doch
Des Innern reifre Fülle sie
verklären.
Doch was da mangelt, ist ein
andres noch!
Sie müssen Geisteslicht und
Luft entbehren,
Und statt der Schwingen ward
ihr Teil – das Joch.
Wie hold die goldne Frucht am
Baume winkt!
Aus üppig-grünem Laube, das,
vom Regen
Der Nacht noch feucht, im
Sonnenlichte blinkt,
Drängt reicher Überfluß sich
mir entgegen.
Die Hand nur streck ich aus,
und goldgeschminkt,
Entrollst dem niedren zweig
du, duftger Segen,
Und während süße Kost der
Gaumen trinkt,
Verlockt schon neue Fülle
allerwegen.
Doch seh ich mehr als jenen
Nektar nur
In dir, an dem wir unsre Sinne
laben,
Wenn von dem Sonnenkusse welk
die Flur.
Daß wir noch immer Paradiese
haben,
Das lehrst du mich, in denen
die Natur
Verschwendrisch spendet ihre
schönsten Gaben!
Nun träuft des Himmels reiche
Spende nieder,
Und überwunden sieht sich die
Natur;
Zu Worte kommt des Regens
Stimme nur;
Kaum daß noch eine Schwalbe
hin und wieder
Die Halme streift mit tropfendem
Gefieder,
Und einen Laut borgt der
verstummten Flur;
Kaum daß noch, zirpend in der
Ackerspur,
Die Lerche mahnt an längst
verlernte Lieder.
Es ist ein Wetter, recht dazu
gemacht,
Um jene Härte sanft
herabzustimmen,
Die uns der Sonnenschein ins Herz
gelacht.
Wie Wehmut klingt es an; - Der Landschaft Bild
Beginnt vor unsern Blicken zu
verschwimmen,
Und langentbehrter Tränensegen
quillt.
1822 - 1910
Neapel ist die laute
Heiterkeit,
Rom ist der Ernst herabgekommner
Größen;
Die Eine geht im bunten
Federkleid,
Die Andre deckt nur mühsam
ihre Blößen.
Die eine lebt, - die Andre
lebt auf Zeit,
Und zehrt von der Geschichte
Aktenstößen;
Neapels Bettler neckt dich,
lacht und schreit,
Der Bettler Roms sucht Mitleid
einzuflößen.
So sind hier Gegensätze
schroffer Art.
Rom gleicht dem trauernd
ernsten, edlen Weibe,
Noch feßelnd, geistvoll, aber
hochbejahrt.
Neapel gleicht der Sclavin,
schön von Leibe,
In der sich Glut und holder
Liebreiz paart,
Und die ein Pascha hält zum
Zeitvertreibe.
1822 - 1910
In Silberschmucke ist der Baum
erwacht,
Der Himmel blaut, die Nebel
sind verschwommen;
Nun steht er da, beschämt ob
all der Pracht,
Bewegungslos, entzückt und
doch beklommen.
wer schmückte ihn so hold in
einer Nacht,
Wer hat das dürft’ge Ansehn
ihm genommen?
Die liebe Sonne blinkt ihn an
und lacht,
Und hütet sich, dem Schmuck zu
nah’ zu kommen.
Vorüber zieht der Mensch und
staunt und spricht:
„Wie rein dies Silberbild auf
blauem Grunde,
Kein Pinsel gibt es wieder,
kein Gedicht! –
Eins gleicht ihm nur: in
früher Morgenstunde
Der Unschuld heilig reines
Angesicht,
Das von dem eignen Reiz noch
ohne Kunde.“